Art. 96 [Begründungspflicht]

     (1) Richterliche Entscheidungen sind zu begründen, soweit eine Person durch sie belastet wird.

     (2) Jeder hauptamtliche Richter, der an einer Entscheidung beteiligt ist, hat das Recht, seine abweichende Rechtsmeinung soweit sie die Entscheidung selbst oder die Begründung oder einzelnde Teile der Begründung betrifft, schriftlich niederzulegen. Diese abweichende Meinung ist Teil der Entscheidung.
 

Begründung:
Absatz 1 trägt der Überlegung Rechnung, daß die Begründung richterlicher Entscheidungen in erster Linie nicht für andere Gerichtsinstanzen geschrieben werden sollte, sondern für die Betroffenen selbst. Die Entscheidung ist den Betroffenen selbst gegenüber zu rechtfertigen, wenn diese als Rechtssubjekte geachtet werden sollen.

Absatz 2 soll die Transparenz der Rechtsprechung verbessern. Gerichtsurteile treten häufig mit der Attitüde des Evidenten und Unfehlbaren auf, während sie nicht selten das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen unter den erkennenden Richtern und zuletzt gar Ergebnis einer Mehrheitsentscheidung waren. Es ist nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die weitere Rechtsentwicklung von Bedeutung, etwaige Mindermeinungen zu kennen. Das Beratungsgeheimnis wird dadurch nicht verletzt. Denn der bei der Abstimmung unterlegene Richter kann, aber er muß nicht von seinem Recht auf Abgabe einer Mindermeinung Gebrauch machen.

Kompatibilität:
Die Regelung des Absdatz 1 ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Zahlreiche Regelungen der verschiedenen bundesrechtlichen Prozeßordungen sehen zwar vor, daß Entscheidungen ohne Gründe erlassen werden dürfen. Diese Vorschriften untersagen aber keine Begründung.

Auch Absatz 2 ist mit Bundesrecht kompatibel. Das bundesrechtliche Beratungsgeheimnis wird nicht verletzt. § 43 DRiG verbietet dem Richter bundesrechtlich nur, sich über den "Hergang bei der Beratung und Abstimmung" zu äußern. Die Mitteilung einer eigenen abweichenden Meinung sagt über den Hergang bei der Beratung und der Abstimmung nichts aus.

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998