Art. 92 [Unabhängigkeit der Richter] bisher Art. 126

     (1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Eine Dienstaufsicht findet nur statt, soweit die richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt wird.

     (2) Die Dienstaufsicht über die Richter wird von den Gerichtsvorständen ausgeübt. Die Befugnisse der Einleitungsbehörde in Disziplinarsachen obliegt der Landesregierung.

     (3) Die Gerichtsvorstände werden von den Richtern auf Lebenszeit des jeweiligen Gerichts aus ihrer Mitte gewählt. Die Amtszeit beträgt vier Jahre. Eine Wiederwahl am selben Gericht ist nur zweimal zulässig.

     (4) Die Gerichtsvorstände jeder Gerichtsbarkeit, die aus mehr als einem Gericht besteht, wählen aus ihrer Mitte einen Sprecher, der die Aufgaben eines Repräsentanten der Richterschaft dieser Gerichtsbarkeit gegenüber dem Landtag und der Landesregierung wahrnimmt.

     (5) Die Berufsrichterschaft jedes Gerichts wählt ein Präsidium. Diesem obliegen die Wahl von Vorsitzenden der Spruchkörper des Gerichts für jeweils ein Geschäftsjahr, die Verteilung der richterlichen Geschäfte und die durch Gesetz übertragenen Aufgaben.

     (6) Das Nähere zu diesem Artikel regelt ein Gesetz.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Satz 1 entspricht dem jetzigen Art. 126 Abs. 2 HV. Satz 2 spricht die heikle Aufgabe der Dienstaufsicht im Verhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit an.

Zu Absatz 2:
Satz 1 schafft die mehrstufige Dienstaufsicht über die Richter ab. Die Dienstaufsicht wird nicht mehr vom Präsidenten des Obergerichts und auch nicht mehr vom Justizminister ausgeübt, sondern nur noch vom Gerichtsvorstand. Das stärkt die Unabhängigkeit der Richter insbesondere auch deshalb, weil, wie in Absatz 3 geregelt, der Gerichtsvorstand ein Selbstverwaltungsorgan der Richter ist. Der Begriff "Gerichtsvorstand" läßt es offen, ob es sich dabei um eine einzelne Amtsperson oder um ein Kollegialorgan handelt. Die Wahl zwischen diesen Alternativen liegt beim einfachen Gesetzgeber.

Satz 2 ordnet eine einzige, sehr schwer wiegende dienstaufsichtsrechtliche Befugnis der Landesregierung zu. Damit folgt unser Vorschlag dem Entwurf des Landesverbandes Hessen im Deutschen Richterbund für ein hessisches Gerichtsverfassungs- und -verwaltungsgesetz vom Oktober 1970 (DRiZ 1971, 10 - hier: § 5 Abs. 2). Allerdings wird im Gegensatz zu diesem Entwurf diese Befugnis nicht dem Justizminister zugeordnet, sondern der Landesregierung. Die Schwelle für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wird damit erhöht und zugleich wird eine leichtere öffentliche Kontrolle sichergestellt. Unser Verfassungsentwurf verzichtet konsequent darauf, dem Justizministerium Befugnisse zuzuordnen. Damit würde die HV auch der Abschaffung dieses Ministeriums nicht mehr im Wege stehen.

zu Absatz 3:
Mit dem Vorschlag, die Gerichtsvorstände auf Zeit aus der Mitte der Richterschaft zu wählen, wird die Selbstverwaltung gestärkt und der Einfluß der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt nachhaltig zurückgedrängt. Das Amt des Gerichtsvorstands ist kein Karrieresprung mehr, der durch Wohlverhalten gegenüber der Exekutive, insbesondere des Justizministeriums, erkauft werden kann. Die nur zweimalige Wiederwahl ermöglicht eine maximale Amtszeit von 12 Jahren. Der Personalaustausch spätestens nach diesem Zeitraum erleichtert Innovationen und interne Mobilität. Amtsinhaber müssen während ihrer Amtszeit davon ausgehen, auch wieder als "einfache" Richter tätig sein zu müssen. Das wird auf ihre Amtsführung einen günstigen Einfluß ausüben. Der Vorschlag folgt auch damit dem o.g. Entwurf des Deutschen Richterbundes.

Zu Absatz 4:
Es ist wünschenswert, daß die Richterschaft, die ähnlich wie der Landtag eine personell umfangreiche und damit auch relativ amorphe Staatsgewalt darstellt, gegenüber den anderen Staatsgewalten durch einen Repräsentanten vertreten wird. Dessen Funktion entspricht etwa der des Landtagspräsidenten im Verhältnis zur Exekutive.

Zu Absatz 5:
Das vorgesehene Gerichtspräsidium ist auch heute schon im Gerichtsverfassungsgesetz des Bundes vorgesehen, aber nur für die Verteilung der Geschäfts zuständig. Diesem Gremium soll auch die Wahl der Vorsitzenden für ein Geschäftsjahr obliegen, sofern die Verfahrensordnung der jeweiligen Gerichtsbarkeit die Funktion eines Vorsitzenden vorsieht und deren Wählbarkeit bundesrechtlich möglich ist. Die derzeitige Rechtslage erlaubt den Präsidien bereits die Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden, während das Amt des Vorsitzenden als statusrechtliches Amt ausgestaltet ist, das eine spezielle Ernennung (auf Lebenszeit) voraussetzt und mit einer höheren Besoldung verbunden ist. Die vorgeschlagene Regelung wird deshalb erst wirksam werden können, wenn das Statusamt des Vorsitzenden Richters abgeschafft ist. Nach Art. 1 Abs. 2 hat sich die Landesregierung für die Abschaffung dieses Amtes einzusetzen, das u.E. auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.

Zur Frage, ob es richterliche Beförderungsämter geben soll und zur Frage der Besoldung sollte nichts in der Verfassung geregelt werden, um dies der einfachen gesetzgebung offenzuhalten, weil verschiedene Systeme denkbar sind.

Offen geblieben ist in der Arbeitsgruppe bisher die Frage, ob eine Regelung der Selbstverwaltung der Gerichte in die Verfassung aufgenommen werden soll.

Kompatibilität:
Es gibt keinen Widerspruch zu höherrangigem Recht. Die Regelung der Dienstaufsicht ist Landesrecht. Die Wahl der Gerichtsvorstände auf Zeit ist mit dem geltenden Bundesrecht vereinbar. Die Wahl der vorsitzenden Richter dürfte ebenfalls mit dem Bundesrecht vereinbar sein, weil die entgegenstehenden Vorschriften der Prozeßordnungen und des Besoldungsrechts verfassungswidrig sein dürften. Andernfalls hat sich die Landesregierung gemäß Art. 1 Abs. 2 für eine Anpassung des Bundesrechts einzusetzen.

zurueck home weiter

© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998