Art. 9 [Willkürverbot] bisher Art. 1

     (1) Niemand darf willkürlich bevorzugt oder benachteiligt werden. Unterscheidungen nach dem Geschlecht, der Abstammung, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung, der sexuellen Orientierung, nach einer Behinderung oder nach der Wahrnehmung der Menschen- und Bürgerrechte sind in der Regel willkürlich.

     (2) Der Staat hat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu bewirken und zu sichern.

     (3) Der Staat hat sicherzustellen, daß niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt wird.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Die Vorschrift betrifft den Grundgedanken, den die hessische Verfassung ebenso wie Art. 3 GG mit dem traditionellen Begriff der "Gleichheit vor dem Gesetz" zu erfassen versucht. Ursprünglich war damit nur gemeint, daß der Adel keine gesetzlichen Privilegien genießt. Heute wird die Gleichheitsregel über den Wortlaut der traditionellen Formel hinaus im Sinne eines allgemeinen Willkürverbotes verstanden. Wir meinen, daß diese aktuelle Bedeutung auch in einem klaren Wortlaut zum Ausdruck kommen sollte. Der allgemeine Gleichheitssatz im Sinne des Willkürverbotes kommt in Satz 1 zum Ausdruck.

In Satz 2 haben wir uns an die Tradition sowohl des Art. 1 HV als auch des Art. 3 GG angelehnt, in denen bestimmte Differenzierungsgesichtspunkte für unzulässig erklärt werden, nämlich die nach dem Geschlecht, der Abstammung, der Herkunft, Religion ect. Wir meinen zwar, daß ein derartiger Katalog an sich überflüssig, ja sogar irreführend sein kann, weil beispielsweise sowohl das Geschlecht als auch eine Behinderung sehr wohl ein sachgerechter Anknüpfungspunkt für Differenzierungen sein kann. So stellt das Staatsangehörigkeitsrecht auf die Abstammung, das Schwerbehindertenrecht auf die Behinderung, das Mutterschutzrecht auf das Geschlecht ab. Eine umstandslose Gleichbehandlung von Menschen kann sogar selbst willkürlich sein. So kann z.B. die bevorzugte Einstellung Schwerbehinderter zum Nachteil Nichtbehinderter eine Ungleichbehandlung darstellen, für die es sachliche und keineswegs willkürliche Gründe gibt.

Wir haben uns dennoch entschlossen, den Katalog unzulässiger Differenzierungskriterien in abgeschwächter Form in Satz 3 aufzunehmen, weil es ein Interesse daran gibt, gerade jene Umstände, die heute noch häufig Quelle willkürlicher Behandlung sind, ins allgemeine Bewußtsein zu heben. Die in Satz 2 genannten Unterscheidungen fungieren heute häufig als Kriterien einer willkürlichen Behandlung. Dem soll Satz 2 entgegenwirken.

Zu Absatz 2 und 3:
Die Absätze 2 und 3 nehmen den Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 2 GG auf. Die Vorschriften stellen dem Staat eine Aufgabe. Er hat dafür zu sorgen, daß die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen und die Nichtdiskriminierung von Behinderten in der Gesellschaft, also insbesondere auch im Privatrecht, durchgesetzt werden.

Kompatibilität:
Kein Widerspruch zu höherrangigem Recht.

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998