Art. 7 [Menschenwürde] bisher Art. 3; 27

     (1) Jeder Mensch lebt um seiner selbst willen. Darin liegt seine Würde. Die Würde des Menschen und die ihr innewohnenden Rechte dürfen von niemandem verletzt werden.

     (2) Der Staat hat die Pflicht, die Menschenwürde im öffentlichen und privaten Bereich zu schützen. Die Menschenrechte finden ihre Grenze nur in den Menschenrechten anderer.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Die unbedingte Achtung vor der Würde des Menschen ist das Höchstprinzip einer freiheitlichen Verfassung. Die Menschenrechte sind Ausfluß der Würde des Menschen. Deshalb muß der Grundsatz am Anfang des Menschenrechtskataloges stehen. Bisher erwähnt die Hessische Verfassung die Menschenwürde eher beiläufig in Art. 3 und Art. 27, wobei der jeweilige Kontext zeigt, daß der Begriff der Würde in einem eingeschränkteren Sinne gemeint ist als etwa in Art. 1 GG. So stehen in Art. 3 HV etwa das Recht auf Leben, Gesundheit und Ehre neben dem Recht auf Achtung der Menschenwürde und sind nicht Ausfluß dieses Prinzips.

Was mit Menschenwürde eigentlich gemeint ist, ist ohnehin höchst vage. Die Vorstellungen in der Bevölkerung darüber gehen auseinander. Es geht aber nicht an, daß der Höchstwert einer Verfassung in einer Form ausgedrückt wird, die so dunkel ist, daß hierüber eine einheitliche Vorstellung nicht entwickelt werden kann. Wir halten es deshalb nicht nur für nötig, den Begriff der Menschenwürde an den Anfang des Menschenrechtskatalogs zu stellen und damit die moderne Verfassungstradition fortzusetzen, sondern auch, den Sinn des Begriffs so zu explizieren, daß die Bevölkerung damit eine konkrete Bedeutung verbinden kann.

Der Kern des Menschenwürdeprinzips ist die Anerkennung der Maxime, daß jeder Mensch um seiner selbst willen lebt und deshalb nicht zum bloßen Instrument für fremde, auch staatliche Zwecke herabgewürdigt werden darf. Dies kommt in Satz 1 zum Ausdruck.

Satz 2 nimmt eine Formulierung aus Artikel 10 der spanischen Verfassung auf. Sie macht klar, daß die Würde des Menschen subjektive Rechte zu ihrem Schutz impliziert.

Der Hinweis, daß die Menschenwürde von niemandem verletzt werden darf, erledigt den staatsrechtstheoretischen Streit über die sogenannte "Drittwirkung" der Menschenrechte. Die Pflicht der Achtung der Menschenwürde gilt nicht nur für den Staat, sondern für jedes öffentliche und private Subjekt.

Zu Absatz 2:
Absatz 2 stellt (wie Art. 1 Abs. 1 GG) klar, daß dem Verbot, die Menschenwürde zu verletzen, eine staatliche Schutzpflicht korrespondiert. Diese Schutzpflicht gilt uneingeschränkt, also auch für den privaten Bereich. Damit ist klargestellt, daß die Menschenrechte auch im Bereich des Privatrechts gelten.

In welcher Weise die Menschenwürde zu schützen ist, kann die Verfassung nicht vorgeben, weil dies von den jeweiligen Umständen abhängt. Aus der allgemeinen Schutzpflicht folgt deshalb nicht eine ganz bestimmte konkrete Handlungspflicht. So ist der Staat aufgrund der Schutzpflicht z.B. nicht verpflichtet, einer terroristischen Erpressung nachzugeben, wenn er damit die Gefahr der Wiederholung solcher Taten und damit langfristig eine Schwächung der Schutzfunktion gewärtigen muß.

Satz 2 macht die (immanenten) Grenzen der Menschenrechte deutlich, die genau da und nur da liegen, wo die Menschenrechte anderer tangiert sind.

Kompatibilität
Widersprüche zu höherrangigem Recht sind nicht erkennbar.

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998