Art. 27 [Freiheit der Forschung] bisher Art. 10

     Niemand darf in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und in der Verbreitung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse gehindert werden.
 

Begründung:
Der Vorschlag entspricht dem bisherigen Artikel 10 HV, wobei allerdings die Freiheit der Kunst gestrichen und der Wortlaut etwas modernisiert ist. Die Vorschrift gilt also nur noch für die Wissenschaftsfreiheit.

Während die Freiheit der Kunst als Teil der Meinungsfreiheit ein Menschenrecht ist (vgl. Art. 22), stellt die Aufnahme der Wissenschaftsfreiheit in den 3. Hauptteil klar, daß die Freiheit der Wissenschaft kein Menschenrecht, sondern nur ein positives Grundrecht darstellt, so daß dieses Recht in weit größerem Umfang der Reglementierung durch den Staat unterliegen kann als ein Menschenrecht.

Wir gehen dabei von einem institutionellen Wissenschaftsbegriff aus, wie er auch der Entstehungsgeschichte der Wissenschaftsfreiheit angemessen ist. Wissenschaft besteht also nicht schon darin, daß sich jemand aus allgemein zugänglichen Quellen systematisch unterrichtet und auch nicht darin, daß er Fragen stellt und in systematischer Weise nach einer Antwort sucht. Alle diese Tätigkeiten fallen als Menschenrechte unter den Schutz der Art. 8, 21, 22, 23. Wissenschaft im Sinne des Art. 27 meint dagegen die individuelle Freiheit der Forschung und Lehre im Rahmen und auf der Grundlage der in Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen institutionalisierten Wissenschaft. Wissenschaftliche Tätigkeit ist also nicht eine Entfaltungsweise des Menschen als solchem, sondern Teilnahme an einer bestimmten Art gesellschaftlicher Kooperation. Sie kann durch positives Recht genauso beschränkt und gestaltet werden wie z.B. das Recht der Staatsbürgerschaft. Die Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht fungiert als die persönliche Freiheit, im Rahmen solcher Institutionen Forschungsgegenstand und Forschungsmethode selbst frei bestimmen zu können.

Die Arbeitsgruppe hat überlegt, ob es anzeigt sein könnte, die Wissenschaftsfreiheit auf dem Gebiet der Naturwissenschaften unter Gesetzesvorbehalt zu stellen, weil die naturwissenschaftliche Forschung dem Staat häufig neue Probleme aufbürdet, deren Lösungen ihn überfordern, so daß es erwägenswert erscheint, dem Staat die Möglichkeit der Regulierung solcher Probleme zu ermöglichen (vgl. Art. 31 Abs. 2 Verf Brandb.; Art. 10 Abs. 3 SachAnhVerf). Indessen konnte sich die Arbeitsgruppe nicht zu einem derartigen Vorschlag entschließen, weil die Einschränkung des Dranges nach Erkenntnis problematisch erschien und im übrigen die Bedeutung eines solchen Gesetzesvorbehalts angesichts des geringen Einflußbereichs der Hessischen Verfassung auf die universelle Welt der Forschung ohnehin gering wäre. Die Frage sollte aber weiter diskutiert werden.

Kompatibilität:
Kein Widerspruch zu höherrangigem Recht.

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998