Art. 17 [Gewissensfreiheit] bisher Art. 9, 48 Abs. 2; vgl. auch Art. 13 IV Verf. Brandenburg

     (1) Die Freiheit des Gewissens darf nicht verletzt werden. Wer staatsbürgerliche Pflichten aus Gewissensgründen nicht erfüllen kann, ist davon zu befreien. Das Land soll ihm im Rahmen des Möglichen andere, gleichbelastende Pflichten eröffnen, wobei das Gesetz eine angemessene zusätzliche Belastung zur Bestätigung der Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung vorsehen kann.

     (2) Religion ist Privatsache. Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder religiösen Übung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen.
 

Begründung:
Die Vorschrift bricht die Vermengung von Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit auf. Sie regelt die Gewissensfreiheit in Absatz 1, die Religionsfreiheit in Absatz 2.

Zu Absatz 1:
Gewissensfreiheit schützt die moralische Integrität des Menschen. Niemand darf gezwungen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen, das er vor seinem Gewissen als Böse erfährt. Insbesondere darf der Staat derartige Handlungen nicht verlangen. Deshalb ist von staatsbürgerlichen Pflichten zu befreien, wer deren Erfüllung (glaubhaft) für böse hält. Damit, wer aus Gewissensgründen von allgemein auferlegten Pflichten befreit wird, dadurch nicht einen Vorteil gegenüber anderen bekommt, der unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht zu rechtfertigen wäre, sollen ihm in diesem Falle andere gleichbelastende Pflichten auferlegt werden. Beispiel: Wer das Amt eines ehrenamtlichen Strafrichters mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, weil er es für ein Verbrechen hält, Menschen mit Freiheitsstrafe zu belegen, der muß davon befreit werden, sollte aber dann z.B. mit dem Amt eines ehrenamtlichen Verwaltungsrichters betraut werden. Wer die Zahlung von Steuern und Abgaben mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, muß in entsprechender Höhe anderweitig finanziell belastet werden, z.B. durch die Auferlegung von Spenden an gemeinnützige Organisationen.

Die Vorschrift nimmt eine Formulierung aus Art. 13 Abs. 4 der brandenburgischen Verfassung auf. Diese enthält allerdings den Zusatz, daß das Recht auf Befreiung von staatsbürgerlichen Pflichten aus Gewissensgründen nicht für Abgaben gilt. Wir meinen, daß diese Einschränkung nicht gerechtfertigt ist. Wer bestimmte Staatsausgaben für verbrecherisch hält, kann vor seinem Gewissen nicht zu deren Finanzierung beitragen. Der Staat schuldet unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde den Respekt vor dieser Gewissensüberzeugung. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG und der Finanzgerichte verneint zwar diesen Zusammenhang, kann aber nicht überzeugen. Die Möglichkeit der Auferlegung zusätzlicher Belastungen ermöglicht Sicherheit vor Mißbrauch durch eine "Probe aufs Gewissen". Diese muß allerdings verhältnismäßig sein und darf nicht in ein Martyrium ausarten, vor dem die Norm ja gerade bewahren will.

Zu Absatz 2:
Die Formulierung nimmt den Art. 48 Abs. 2 HV auf. Eine weitergehendere Regelung der Religionsfreiheit erscheint nicht erforderlich. Soweit es um den Schutz der religiösen Glaubensüberzeugung und des Glaubensbekenntnisses geht, ist dies von der Meinungsfreiheit (vgl. Art. 22) abgedeckt. Soweit aus der religiösen Überzeugung moralische Handlungspflichten folgen, ist dies durch die Gewissensfreiheit (Absatz 1) abgedeckt. Die Religionsfreiheit bedarf deshalb nur insoweit speziellen Schutz, als es um spezifisch religiöse Handlungen im engeren Sinne, also um rituelle Handlungen geht. An derartigen Handlungen darf niemand gehindert, noch darf jemand dazu gezwungen werden.

Kompatibilität:
Auch wenn die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nicht ausdrücklich als Grundrecht formuliert sind, sind diese Grundfreiheiten nach Art. 22 (Meinungsfreiheit) und Art. 17 Abs. 1 (Gewissensfreiheit) in gleichem Umfang geschützt wie bisher und wie nach Bundesrecht.

Das Grundrecht der Gewissensfreiheit in Absatz 1 geht unseres Erachtens nicht über das hinaus, was auch jetzt schon durch Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet ist. Da das Grundrecht aber in Rechtsprechung und Lehre nicht in diesem Umfang anerkannt ist, dient die vorgeschlagene Formulierung nur der Klarstellung. Selbst wenn man aber davon ausgehen will, daß Absatz 1 über die Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 GG hinausgeht und nicht durch die Menschenwürde geboten ist, ist die Norm nach Art. 142 GG (Vorrang weitergehender Landesgrundrechte) mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit das Bundesrecht z.B. über Billigkeitsregeln die Berücksichtigung von Gewissenskonflikten ermöglicht (vgl. Erläuterung vor Art. 7).

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