Art. 13 [Lebensgemeinschaften] vgl. Art. 4, 55

     (1) Jeder Mensch hat das Recht, eine Lebensgemeinschaft seiner Wahl, insbesondere auch nach Maßgabe seiner sexuellen Orientierung zu gründen und zu leben. Jugendliche haben dieses Recht nach Maßgabe ihrer Reife. Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Hilfsbedürftigen stehen als Grundlage des Gemeinschaftslebens unter dem besonderen Schutz des Staates.

     (2) Die Sorge für die Kinder und ihre Erziehung ist das Recht und die Pflicht der Eltern. Diese Aufgabe kann nur auf Grund eines Gesetzes und mit richterlicher Verfügung entzogen werden, wenn dies zum Wohl des Kindes dringend geboten ist.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Die Intimsphäre des Menschen ist wesentliche Grundlage dafür, daß der Mensch sich selbst gehört. Wesentliche Grundlage des intimen Lebensraums bildet die Lebensgemeinschaft, in der ein Mensch lebt oder leben will. Hier findet er durch die Liebe seiner Lebenspartner zu seiner Identität. Die Lebensgemeinschaft ist die fundamentale Grundlage der Persönlichkeitsbildung. Diese intime Lebensgemeinschaft, ihre Gründung und das Leben in ihr ist deshalb ein Menschenrecht.

Wir meinen, daß es keine Rechtfertigung dafür gibt, heterosexuelle Lebensgemeinschaften gegenüber homosexuellen Lebensgemeinschaften zu privilegieren. Wir meinen auch, daß es intime Lebensgemeinschaften geben kann, die überhaupt keine sexuelle Komponente haben, gleichwohl aber unbedingt zu achten sind. Deshalb genießt die Institution der Ehe in unserem Vorschlag keine verfassungsrechtliche Hervorhebung mehr. Dies geht nicht zulasten der ehelichen Lebensgemeinschaft, da es sich dabei um einen Unterfall all derjenigen Lebensgemeinschaften handelt, die unter den Schutz der vorgeschlagenen Regel fallen. Der Schutzbereich des bisherigen Grundrechts der Ehe wird vielmehr erweitert um andere Formen der Lebensgemeinschaft, die auf Intimität, also auf Vertrauen und gegenseitiger Liebe beruhen.

Intime Lebensgemeinschaften sind an sich Privatsache. Einen öffentlichen Bezug als Grundlage des Gemeinschaftslebens haben sie nur, wenn es sich um Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Hilfsbedürftigen handelt. Das müssen keine Familien im herkömmlichen Sinne sein, also Lebensgemeinschaften mit einer heterosexuellen Orientierung. Nicht nur die herkömmliche Familie, sondern alle intimen Lebensgemeinschaften mit Kindern und Hilfsbedürftigen müssen deshalb unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Es darf nicht sein, daß, wer die Sorge für Kinder, alte Menschen oder Behinderte übernommen hat, das Risiko der Armut eingeht oder von der bürgerlichen Kommunikation im gesellschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen ist.

Zu Absatz 2:
Der Vorschlag übernimmt in redaktionell überarbeiteter Form die Regelungen des Art. 6 Abs. 2, 3 GG, der insoweit einengender ist als Art. 55 HV.

Kompatibilität:
Das Grundrecht geht über den Schutzbereich des Art. 6 GG (Ehe und Familie) deutlich hinaus. Sie folgt aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde und ist deshalb auch aus Art. 1 Abs. 1 GG ableitbar. Diese Auslegung des Artikel 1 GG ist heute zwar noch nicht allgemein anerkannt. Die vorgeschlagene Verfassungsnorm würde die Streitfrage für Hessen aber verbindlich klären (vgl. Erläuterung vor Art. 7).

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998