Art. 12 [Recht auf Unversehrtheit] bisher Art. 3

     (1) Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit.

     (2) In dieses Menschenrecht kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zum Schutz oder zur Wahrung gleichwertiger Rechtsgüter eingegriffen werden.
 

Begründung:
Absatz 1:
Dem Wortlaut nach enthält die Hessische Verfassung (Art. 3 HV) ebenso wie das Grundgesetz (Art. 2 Abs. 2 GG) nur ein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Unantastbarkeit der Gesundheit). Insbesondere die Verfassungsrechtsprechung hat den Grundrechtsschutz inzwischen aber auch auf den Bereich der seelischen und geistigen Unversehrtheit ausgedehnt. Dies entspricht auch einem Gebot des Menschenwürdeprinzips. Der vorgeschlagene Wortlaut vollzieht die Rechtsprechung insoweit nur nach.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit bedeutet, daß niemandem somatische Verletzungen, Krankheiten oder Schmerzen beigebracht werden dürfen.

Das Recht auf seelische Unversehrtheit bedeutet, daß niemand seelisch gefoltert werden darf (z.B. durch Angstzustände ohne körperliche Beeinträchtigung; Lärmbeeinträchtigung, die als unerträglich erlebt werden, ohne somatische Verletzungen zur Folge zu haben), aber auch, daß Einbrüche in den seelischen Eigenraum (z.B. durch Lügendetektoren) unzulässig sind.

Das Recht auf geistige Unversehrtheit bedeutet, daß niemand etwa durch Beibringung chemischer Mittel, aber auch durch Täuschung, List, Drohung oder auf andere Weise in den Zustand ausgeschlossener oder beeinträchtigter Willensfreiheit versetzt werden darf.

Absatz 2:
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art 3 HV steht unter keinem Gesetzesvorbehalt. Das ist nicht praktizierbar. So gibt es durchaus Rechtfertigungen, etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch Impfzwang einzuschränken, wenn dies die Volksgesundheit erforderlich macht. Die Menschenrechte auf Unversehrtheit können und müssen deshalb - wie auch Art. 2 Abs. 2 GG - unter Gesetzesvorbehalt gestellt werden. Auf Grund eines Gesetzes darf in diese Rechte aber nur eingegriffen werden, wenn dies zum Schutz oder zur Wahrung gleichwertiger Rechtsgüter erforderlich ist. Sofern es sich dabei um Rechtsgüter anderer handelt, gebietet der Grundsatz der Menschenwürde, daß das von dem Betroffenen abverlangte Opfer ihn nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns erniedrigen darf, sondern den Eingriff als (zwangsweise) Entrichtung eines Solidarbeitrages zu einem gemeinsam geteilten Zweck erkennbar werden lassen muß.

Kompatibilität:
Kein Widerspruch zu höherrangigem Recht.

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998