Art. 11 [Recht auf ein menschenwürdiges Sterben]

     (1) Jeder Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben. Lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen sind verboten.

     (2) Die in gesundem Zustand schriftlich abgegebene Erklärung, wonach jemand im Falle des unwiederbringlichen Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen mit der Entnahme lebenswichtiger Organe zur Lebensrettung anderer einverstanden ist, ist zu beachten.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Wenn das eigene Leben zum unantastbaren Besitz jedes Menschen gehört, folgt daraus auch, daß er das Recht haben muß, sich lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen zu entziehen. Denn andernfalls wird er zum bloßen Objekt fremder Manipulation. Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben umfasst auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Dieses Recht ist angesichts der moderen Medizin und ihrer Möglichkeiten der Lebenserhaltung sehr gefährdet und wird häufig mißachtet. Ärzte und Pflegepersonal, die dieses Recht achten wollen, geraten in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung. Wir halten es deshalb für geboten, diesem Recht in der Verfassung Ausdruck zu geben.

Zu Absatz 2:
Die Transplantationsmedizin hat eine große Nachfrage an intakten menschlichen Organen geschaffen, die Kranken eingepflanzt werden können. Dieses Interesse hat die Diskussion um den sogenannten Hirntod hervorgerufen. Die Diskussion basiert auf der Annahme, daß einem Menschen lebenswichtige Organe wie z.B. das Herz, nur entnommen werden dürfen, wenn er selbst bereits gestorben ist. Mithin gibt es einen interessegeleiteten Streit um die Definition des Todes. Wir sind der Auffassung, daß es unzulässig ist, durch bloße Definition festzulegen, wann ein Mensch tot ist und also nicht mehr als Träger des Rechts auf Leben in Betracht kommt. Die Behauptung, mit dem endgültigen Ausfall aller messbaren Hirnfunktionen sei der Tod eingetreten, ist eine solche Definition, die nichts mit empirischen Befunden zu tun hat, sondern ausschließlich auf einer Vereinbarung über den Gebrauch des Wortes "Tod" beruht. Die Anmaßung einer derartigen Definitionsmacht über das Leben ist unseres Erachtens nicht nur wissenschaftlich unseriös, sondern mit dem Recht auf Leben auch unvereinbar.

Wir meinen aber, daß jeder Mensch das Recht hat, sich für den Fall eines durch Ausfall aller messbaren Hirnfunktionen unwiederbringlich reduzierten Lebens mit der Organentnahme einverstanden zu erklären, auch wenn er noch nicht tot sein sollte. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn er dieses möglicherweise noch vorhandene, gleichwohl aber höchst reduzierte Leben zugunsten anderer, die im Falle einer Transplantation Aussicht auf ein volles Leben haben, opfern will. Siehe auch Art. 36

Kompatibilität:
Heute ist das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, wiewohl aus Art. 1 Abs. 1 GG ableitbar, bundesrechtlich nicht allgemein anerkannt. Der Vorschlag geht davon aus, daß die Anerkennung eines Rechts auf menschenwürdiges Sterben keine Einschränkung des Rechts auf Leben darstellt, sondern eine Ausweitung des Schutzbereichs der Menschenrechte. Deshalb geht das Grundrecht auch in jedem Fall einer restriktiveren Interpretation der Menschenwürde durch Bundesrecht vor (vgl. Erläuterung vor Artikel 7).

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998