Art. 105 [Kreditaufnahme - Bürgschaften] bisher Art. 141

     (1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch das Haushaltsgesetz. Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Verhältnis der Netto-Neuverschuldung eines Haushaltsjahres zum vorjährigen Bruttoinlandsprodukt des Landes zu Marktpreisen darf nicht mehr als 3 vom Hundert betragen. Die Kreditaufnahme ist unzulässig, wenn das Verhältnis des staatlichen Schuldenstandes zum vorjährigen Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen 60 vom Hundert übersteigt. Das Nähere bestimmt das Gesetz.

     (2) Investitionen im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 sind Ausgaben für Baumaßnahmen, für den Erwerb unbeweglicher Sachen, für den Erwerb von Beteiligungen und sonstigem Kapitalvermögen, von Forderungen und Anteilsrechten an Unternehmen, von Wertpapieren, für die Heraufsetzung des Kapitals staatseigener Unternehmen und für die Bildung.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Der Vorschlag ersetzt den bisherigen Wortlaut des Art. 141 HV, der die Kreditaufnahme nur bei außerordentlichem Bedarf und für werbende Zwecke zuläßt, durch eine Regelung, die eine kreditfinanzierte antizyklische Stabilitätspolitik ermöglicht. Dazu sind die Länder auch schon jetzt durch Art. 109 Abs. 2 GG und einfaches, die HV überlagerndes Bundesrecht, nämlich das Haushaltsgrundsätzegesetz und das Stabilitätsgesetz verpflichtet. Würde man unter diesen Umständen die Regelung des bisherigen Art. 141 HV beibehalten, würde dies gemäß Art. 1 Abs. 2 unseres Entwurfs das Land dazu verpflichten, sich für eine Abschaffung der Ermächtigungsgrundlagen für eine antizyklische kreditfinanzierte Stabilitätspolitik auch im Bund einzusetzen. Dies halten wir nicht für wünschenswert. Deshalb schlagen wir einen neuen Wortlaut vor, der im wesentlichen am Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 GG orientiert ist.

Zwar ist das Konzept fiskalpolitischer Eingriffe in das Marktgeschehen durch das seit Anfang der 80er Jahre die Wirtschaftspolitik des Bundes wie auch anderer europäischer Länder stark beeinflussende Konzept des sog. Monetarismus infragegestellt worden. Wir meinen aber, daß die ständig steigenden Arbeitslosenzahlen und eine die Grenzen der Tolerierbarkeit längst überschreitende Ungerechtigkeit der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums das Konzept des Monetarismus längst als untauglich erwiesen hat. Es ist mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar. Deshalb schlagen wir vor, die HV an das im GG verankerte stabilitätspolitische Konzept anzupassen statt die Landesverfassung, wie bisher, in Opposition zu diesem Konzept zu halten.

Über Art. 115 GG hinaus und in Anlehnung an Art. 104c EGV i.V.m. Art. 1 des zwischen den Vertragsstaaten dazu beschlossenen Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ("Maastricht-Kriterien") sieht Satz 3 des Vorschlags eine absolute Kreditlimitierung vor. Damit nehmen wir eine Forderung auf, die in der Öffentlichkeit immer eindringlicher erhoben wird, u.a. auch von dem Präsidenten des Hessischen Rechnungshofes Udo Müller (vgl. DÖV 1996, 490 FN 66). Diese Limitierung ordnet das Haushaltsrecht des Landes nicht nur dem Haushaltsrecht der Europäischen Union angemessen ein, sondern ist auch Ausdruck der eigenständigen Verantwortung des Landes für eine Haushaltspolitik, die nicht zulasten künftiger Generationen gehen und in der Gegenwart nicht zum Verlust der politischen Handlungsfähigkeit führen darf.

Das maßgebliche Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen ist der Gesamtwert der in Hessen in dem einem Haushaltsjahr vorausgehenden Jahr erzeugten Endprodukte zu jeweiligen Marktpreisen, d.h. der Wert der produzierten Waren und Dienstleistungen nach Abzug des Wertes, der im Produktionsprozeß als Vorleistung verbrauchten Güter. Die Netto-Neuverschuldung darf insgesamt pro Haushaltsjahr nicht mehr als 3% dieses Wertes betragen. Außerdem ist jede Neuverschuldung untersagt, wenn die bereits vorhandenen Staatsschulden mehr als 60% dieses Wertes betragen. Ob dieses Limit eingehalten wird, läßt sich allerdings zum Zeitpunkt der Haushaltsgesetzgebung nur schätzen, weil das Haushaltsgesetz vor Beginn des Haushaltsjahres zu verabschieden ist, während das Bruttoinlandsprodukt des Vorjahres erst im Frühjahr des darauf folgenden Jahres ermittelt ist. Das damit verbundene Risiko ist aber durchaus erwünscht. Es mahnt den Haushaltsgesetzgeber zu besonderer Vorsicht. Geht er von unrichtigen Schätzungen des Bruttoinlandsprodukts aus, führt das zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes. Es bleibt dem Landtag freilich unbenommen, die Folgen etwaiger Fehleinschätzungen durch ein Nachtragshaushaltsgesetz unverzüglich zu beseitigen. Wie die nachstehende Tabelle zeigt, war der hessische Landeshaushalt in den Jahren 1995 und 1997 weit von dieser absoluten Kreditgrenze entfernt.

  1995 1997
Bruttoinlandsprodukt (Mio.) 319.561 343.448
Netto-Neuverschuldung (Mio.) 2.283,3 1.868,3
% 0,71 % 0,54 %
Schuldenstand (Mio.) 35.689 38.743
% 11% 11,28%

Zu Absatz 2:
Der Begriff der Investition ist nicht eindeutig bestimmt. Auf Grund einer entsprechenden Rüge des BVerfG (Urt.v. 18.4.1989 - 2 BvF 1/82 -, NJW 1989, 2457, 2459) hat der Bundesgesetzgeber zwar in § 10 Abs. 3 HGrG die bis dahin in Verwalvorschriften enthaltenen Regelungen zum Investitionsbegriff in Gesetzesform gegossen. Wir meinen aber (im Anschluß an Udo Müller DÖV 1992, 1005), daß dieser Investitionsbegriff erheblich zu weit gefaßt ist. Die verfassungsrechtliche Legaldefinition enthält einige Punkte aus der Definition des § 10 HGrG, nicht aber alle. Weggelassen worden sind Ausgaben für den Erwerb beweglicher Sachen (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 lit. b)), Darlehen (lit. e), Ausgaben für die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen (lit. f) sowie Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung von Investitionsausgaben Dritter (lit. g). Nur ein im Vergleich zu § 10 Abs. 3 HGrG wesentlich restriktiverer Investitionsbegriff stellt sicher, daß der Vorgriff auf künftige Einnahmen nur im Umfang der Ausgaben mit zukunftsbegründendem Charakter in Anspruch genommen werden darf. Der Staat soll u.E. auch Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung der Investitionsausgaben Dritter nicht durch Kredite finanzieren dürfen, weil dies zu einer nicht wünschenswerten Verlagerung des Zukunftsrisikos Dritter auf den Staat führt.

Über die bisherige Staatspraxis hinaus schlagen wir vor, auch Ausgaben für die Bildung unter den Investitionsbegriff zu subsumieren. Denn Ausgaben für die Bildung ("Humankapital") haben zweifellos "zukunftsbegründenden Charaker".

Kompatibilität:
Absatz 1 ist mit Bundes- oder Unionsrecht vereinbar. Die Legaldefinition der Investition in Absatz 2 ist mit Bundes- und Unionsrecht zweifelsfrei insoweit vereinbar, als darin Kriterien des § 10 Abs. 3 HGrG übernommen werden. Soweit bestimmte Kriterien des bundesrechtlichen Investitionsbegriffs nicht übernommen werden, bewegt sich der Entwurf innerhalb des bundesrechtlich eingeräumten Spielraums, so daß auch insoweit kein Konflikt besteht.

Problematischer erscheint die Erweiterung des Investitionsbegriffs um die Ausgaben für Bildung. Denn damit wird die enumerative und insoweit abschließende Bestimmung des Investitionsbegriffs in § 10 Abs. 3 HGrG erweitert. Der Vorschlag steht damit in Konflikt zu Bundesrecht. Das hat zur Folge, daß die Landesregierung nach Art. 1 Abs. 2 dieses Entwurfs verpflichtet ist, sich beim Bund für eine Änderung des HGrG einzusetzen. Bis zu einer solchen Änderung ist die Regelung durch Bundesrecht überlagert.

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