Das Unterlassungsdelikt

Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen

Bei Verhaltensweisen, die sowohl Handlungs- als auch Unterlassungsmomente aufweisen, kann die Abgrenzung mitunter schwierig sein.
Einerseits kann man darauf abstellen, ob der Täter irgendeine Aktivität (positive Energieaufwendung) in Richtung auf das betroffene Rechtsgut begeht. In diesem Fall ist dann Tun anzunehmen, sonst Unterlassen.
Die h.M. knüpft zunächst an die Aktivität oder Inaktivität des Täters an. Bei ambivalenten Verhaltensweisen erfolgt dann aber eine normative Wertung: Die Frage, ob ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt vorliegt, entscheidet sich nach dem sozialen Sinngehalt des Verhaltens oder dem "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit".
Vielfach wird in Schemata beim Unterlassungsdelikt eine Vorprüfung empfohlen, ob Tun oder Unterlassen vorliegt. Dies Prüfung ist jedoch überflüssig: Wenn die Abgrenzung problematisch ist, wird zunächst ein Begehungsdelikt angeprüft, geht das Delikt "durch" ist die Frage nach Tun oder Unterlassen entschieden. Scheitert die Prüfung, weil beispielsweise eine Handlung fehlt, wird als nächstes ein Unterlassungsdelikte geprüft.

Abgrenzung zwischen nichtbegehungsgleichen ("echten") und begehungsgleichen ("unechten") Unterlassungsdelikt

Bei den nichtbegehungsgleiche Unterlassungsdelikte erschöpft sich der Strafgrund allein im Gedanken des Rechtsgüterschutzes. Die Verhaltensnorm ruht bildlich gesprochen auf nur einer Säule.
Nichtbegehungsgleichen Unterlassungsdelikte sind die unterlassene Hilfeleistung (§ 323c), die Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) und - mit gewissen Vorbehalten - etwa die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171).
Im Gegensatz hierzu ist bei den begehungsgleichen Unterlassungsdelikten der Strafgrund ein doppelter: Neben den Rechtsgüterschutz tritt die Sonderverantwortlichkeit (Garantenstellung) des Täters. Die Verhaltensnorm ruht also auf zwei Säulen.
Zunächst erscheint es so, als würde der besondere Teil des StGB nur aktives Tun erfassen. Hier stellt § 13 klar, daß die Taten auch durch Unterlassen begangen werden können.

Prüfungsschema zur vorsätzlichen begehungsgleichen Unterlassungstat (h. M.)

I.   Tatbestand
  1.   Objektiver Tatbestand
  a)   Äußere Unrechtsmerkmale
  b)   Unterlassen der zur Erfolgsabwendung objektiv gebotenen und dem Täter möglichen Handlung
  c)   Garantenstellung
  d)   Entsprechungsklausel bei verhaltensgebundenen Delikten
  e)   Kausalität und objektive Zurechnung
  2.   Vorsatz
II.   Rechtswidrigkeit
III.   Schuld

Die Einstandspflicht für den Nichteintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs (Garantenstellung)

Bei den begehungsgleichen Unterlassungsdelikten muß begründet werden, warum der Täter eine Sonderverantwortlichkeit (Garantenstellung) inne hatte. Hierbei ist eine gewisse Systembildung hilfreich (wenn auch nicht zwingend!).

Beschützergaranten sind solche, denen eine umfassende Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut zukommt. Überwachungsgaranten sind solche, denen Sicherungs- oder Beherrschungspflichten in bezug auf eine bestimmte Gefahrenquelle obliegen.

Besondere Schutzpflichten für bestimmte Rechtsgüter können sich unter anderem ergeben aus:

Überwachungsgarantien können entstehen aus:

Kausalität beim Unterlassungsdelikt

Anders als beim Begehungsdelikt kann bei der Unterlassungstat kein naturgesetzlicher Bewirkungszusammenhang festgestellt werden, denn das Phänomen der Unterlassung besteht darin, daß der Täter auf eine in Gang befindliche Kausalkette gerade keinen Einfluß genommen hat, obwohl die Rechtsordnung dies von ihm erwartet hat. Die Conditio-Formel wird deshalb abgewandelt: "Ursächlichkeit" liegt beim Unterlassungsdelikten vor, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne daß der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.

Entsprechungsklausel

Die Entsprechungsklausel des § 13 I a.E. gewinnt Bedeutung bei den sogenannten verhaltensgebundenen Delikten, d.h. bei solchen Straftatbeständen, die besondere Handlungsweisen voraussetzen, etwa Heimtücke (§ 211), Zwang (§ 240), Täuschung (§ 263), etc. In solchen Fällen entspricht das Unterlassen dem positiven Tun nur, wenn es in gleichwertiger Weise die besonderen Handlungsmodalitäten verwirklicht, es also eine dem positiven Tun vergleichbare Prägung besitzt und damit in seinem sozialen Sinngehalt mit der Tatbestandshandlung des Begehungsdelikts übereinstimmt.


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